Grazer Theologe und Ethiker: WM in Katar u.a. Großevents als Bühne nutzen, um auf Missstände und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen.
Graz, 11.11.2022 (KAP) Der Fußball muss so gut es geht aus dem Würgegriff von Politik und rein ökonomischen Interessen befreit werden. Das hat der Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold anlässlich der anstehenden Fußball-WM in Katar erklärt. Diese weltweit populäre Sportart sei vielfältigen Gefahren des Missbrauchs ausgesetzt, verwies der Autor eines Buches über Sportethik auf Korruption, Manipulation, Bestechung im Umfeld und im direkten Bereich des Fußballs sowie Menschenrechtsverletzungen in Austragungsländern von Großereignissen. “Dies trifft besonders auf Katar zu”, sei aber auch bei anderen sportlichen Großereignissen festzustellen, so Neuhold am Freitag im Kathpress-Interview.
Von Boykottmaßnahmen hält der deklarierte Fußball-Fan wenig. Vielmehr sollten große Turniere wie die von 20. November bis 18. Dezember im Wüstenstaat ausgetragene Weltmeisterschaft als Bühne genutzt werden, um kritisch zu berichten und auf Missstände aufmerksam zu machen. Gerade die Popularität des Fußballs könne genutzt werden, um die Weltöffentlichkeit zu sensibilisieren, so Neuhold. Er wies darauf hin, dass der katarische WM-Botschafter Khalid Salman für seine umstrittene Aussage, Homosexualität sei “haram” und ein “geistiger Schaden” bereits zurückgerudert sei und nach weltweiter Kritik von einem “Missverständnis” spreche.
Den Ausschluss Russlands von dem Turnier hält der heuer emeritierte Professor für Ethik und Christliche Gesellschaftslehre an der Uni Graz aufgrund der aktuellen Kriegssituation für berechtigt: Wenn es verunmöglicht wird, dass ein aggressives Regime einen Mannschaftssport vereinnahmt, könne womöglich ein Beitrag gegen künftige Konfliktanlässe geleistet werden. Gangbar sei auch der bereits mehrfach beschrittene Weg, russische Sportlerinnen und Sportler – “die sich vielleicht gar nicht mit der Politik Putins identifizieren” – unter neutraler Flagge an Sportevents teilnehmen zu lassen. Fußball muss Fußball bleiben.
Zum immer enger gewordenen Verhältnis von Fußball und Geld, das sich in wahnwitzigen Gehältern und Ablösen für Stars oder in Klubkäufen reicher Magnaten äußert, sagte Neuhold: Geld allein schießt keine Tore, wenngleich große finanzielle Mittel natürlich die Chancen auf sportlichen Erfolg erhöhen. Bestehende Regularien für “Financial Fair Play” müssten ausgebaut werden, der Breitensport gezielt gefördert werden, ebenso Projekte wie der integrative “Homeless World Cup”. Dass der Fußball manchmal als “größte Weltreligion” bezeichnet wird, hält der Theologe für einen missbräuchlichen Gebrauch des Begriffes Religion, zeige aber auch “seine große Strahlkraft”.
Neuhold: “Fußball darf nicht zu Wirtschaft oder Politik werden, auch nicht zur Religion, sondern muss Fußball bleiben.” Die überwiegend im Advent angesetzten WM-Spiele in Katar will Neuhold mitverfolgen, “dabei aber immer die Umstände mitbedenken”. Der Favoritenkreis sei diesmal sehr groß, so Neuhold; die Daumen werde er für England halten, auch wenn die Kicker der kühlen britischen Insel im Wüstenstaat vielleicht einen schweren Stand haben werden.